Mein Pyjama

Bei jeder guten Reise ziemt es sich, bei aller Achtsamkeit, mindestens ein Utensil zuhause zu vergessen. Darüber ist in der Regel gut hinweg zu kommen, und auch aus der Episode meiner Unachtsamkeit resultiert kein ernsthafter Schaden. Ich habe meinen Pyjama in Hamburg gelassen.
Nun muss ich jedoch gestehen, dass ich bei bestehendem Übergepäck eventuell falsche Vorlieben gesetzt habe. Vielleicht hätte ich ein Handtuch weniger mitnehmen sollen, das ich dann hier für 15 Schekel (2,80 Euro) ersetzt hätte. Ich habe aber – neben anderen Gegenständen – meinen schönen, blau-weiß gestreiften Schlafanzug wieder ausgepackt.

Lange dauerte es nicht, bis ich ihn vermisste.
Zu Purim, einem der wichtigsten jüdischen Feiertage und vor allem der jenige, der am wenigsten ernst und andächtig, sondern fröhlich begangen wird, hätte er mir eine prima Verkleidung gegeben. Zwischen den ganzen Feen, Clowns und ZaubererInnen wäre das mal was anderes gewesen. So musste ich unverkleidet durch eine maskierte Stadt laufen. – Sogar zu der Purim-Party im Opera-Tower. – Worüber ich letzten Endes nicht unfroh war.
Ganz zivil wollte ich dort nicht aufkreuzen. Nichtsdestoweniger ließ sich die Taucherbrille, die ich trug viel schneller absetzen als dies mit dem Ausziehen des Schlafanzuges funktioniert hätte, nachdem ich feststellen musste, dass sich dort niemand kostümiert hatte... Am israelischen Sicherheitspersonal im Foyer des Wohnturmes am Strand wäre ich wahrscheinlich noch vorbei gekommen, ohne dass dieser sich sonderlich gewundert hätte. Der gastgebende US-Marine und die zu 95 Prozent nicht-einheimischen Gäste der Feier hätten mich wahrscheinlich für einen Nachbarn gehalten, der sich durch die Bässe von amerikanischer Rockmusik um seinen Schlaf gebracht fühlte.

Zu dumm, meine schicke Baumwollnachtbekleidung in letzter Sekunde noch aus dem Rucksack genommen zu haben. Zwar hat diese in meiner „Wichtig-Wichtig-Kiste“ in Saras Arbeitszimmer neben Schulzeugnissen, Bankunterlagen, Lohnabrechnungen und Leistungsnachweisen einen würdigen Ablageplatz gefunden, doch an meinem Körper wäre sie einfach noch viel besser aufgehoben. Vielleicht müsste ich dann des Nachts auch nicht immer den Schlafsack bis zum Hals hoch zu ziehen. Selbst Tage, an denen die Sonne uns in Tel Aviv mit Temperaturen über 35°C beglückt, finden im Winter ein plötzliches Ende. Die Sonne verschwindet schon viel früher als im nördlichen Mitteleuropa hinter der Horizontlinie und hinterlässt eine unerwartete Kälte in der noch nicht genügend aufgewärmten Stadt. – In meinem, mir als vorteilhaft schattig und kühl angepriesenem Zimmer kann man dies wahrscheinlich am deutlichsten erleben.

Auch Touristen ist ein Pyjama in den Morgenstunden wärmstens zu empfehlen. So gekleidet fällt man auf dem Bäcker am wenigsten als Nicht-Israeli auf. „HaIraki“ – die (jüdischen, eingewanderten) Iraki, im Gegensatz zu den im Irak lebenden Iraki, wurde mir versichert, würden ihre, meist gestreiften, Schlafanzüge erst vor dem Weg zur Arbeit ablegen.
Ich glaube, ich werde demnächst mal darauf verzichten, mein Brot nach meinem Feierabend zu kaufen, um das mal nachzuprüfen. Und wenn ich daran denke entferne ich dann auf dem Weg zur Bäckerei auch mal die Taucherbrille aus meiner Jackentasche. (19.03.2004)